Es geht weiter! In den ersten beiden Bänden über unsere Segelreise erzählte ich davon, wie wir unser Schiff instand stellten, von unseren ersten Fahrten auf dem Atlantik, dem Leben an Bord, auf den Kanaren, den Kapverden und in Südamerika sowie von der Schiffsgeburt unseres jüngsten Kindes. Im dritten Band geht es nun ums Segeln mit Baby, Tauchen in Venezuela, Hundewelpen in Kolumbien, unsere Erlebnisse auf Kuba und die zweite, anspruchsvolle Atlantiküberquerung von den Bahamas über die Bermudas zu den Azoren.
Im Folgenden plaudere ich aus dem Nähkästchen und erzähle, an welchem Kapitel ich gerade schreibe, welche Gedanken mich dabei begleiten und worum es ganz konkret geht. Viel Spaß dabei!
2. Atlantiküberquerung: ein gemütlicher Segeltag
Was auf unserer ersten Atlantiküberquerung von den Kapverden nach Französisch-Guyana Alltag war, genießen wir diesmal ganz besonders: einen friedlichen, gemütlichen Segeltag. Die Sonne scheint, der Wind bläst mit stabilen 15-18 Knoten und schiebt unsere PINUT mit 3.5 Knoten vorwärts. 3.5 Knoten entsprechen rund 6.5km/h. Wir sind also langsam unterwegs. So langsam, dass die Seele mitkommen kann. Dass wir aufnehmen können, was um uns herum geschieht - oder eben nicht geschieht. Die Wellen
rollen gemütlich auf uns zu, ich schätze die Wellenhöhe auf 1-2 Meter. Sie sind lang mit einer Frequenz von etwa 8-10 Sekunden zwischen den Wellen. Hin und wieder entdecke ich einen Schwarm fliegender Fische. Das sind Fische, die besonders lange Seitenflossen haben, mit denen sie übers Wasser gleiten. Mit einer Distanz von bis zu 400m sieht es tatsächlich aus, als würden sie fliegen. Sie können ihre Flossen aber nicht wie Flügel bewegen, um in der Luft zu bleiben.
Ich sitze auf unserem Bugsitz im Bugkorb, den Blick aufs Schiff und die Segel gerichtet, und lasse mich von der Wellenbewegung wiegen. Die Luft riecht frisch, hin und wieder taucht der Bug tiefer in eine Welle ein und kühle Gischt spritzt an meine Beine, die über der Wasseroberfläche baumeln. Michael hat sich auf der Backbord-Cockpitbank ausgestreckt und döst, der Autopilot steuert unser Schiff zuverlässig. Seraina und Rahel sitzen steuerbord und lauschen einem Hörspiel. Andri schläft zwischen ihnen. Ursina und Jonas sitzen auf dem Achterdeck unter dem Sonnensegel. Um sich herum haben sie Papier und Buntstifte verteilt und sind ins Malen vertieft. Die dicken Kugelfender, die rings ums Achterdeck an der Reling lehnen, dienen ihnen gleichzeitig zum Anlehnen und als Absperrung, damit keine Stifte ins Wasser rollen können.
Es ist ein Tag zum Auftanken und Abschalten. Ich hätte nichts dagegen, wenn es so weitergehen würde, bis wir auf den Bermudas ankommen. Meine Gedanken schweigen. Drehen sich nicht ums Hydrauliköl, das der Motor in kleinen Mengen, aber zuverlässig verliert. Nicht um all die Mythen ums Bermudadreieck, das wir in wenigen Tagen erreichen werden. Auch nicht um die Zukunft, in der wir vorerst nicht mehr segeln werden, damit Saskia "ganz normal" zur Schule gehen kann (damals wusste ich noch nichts von Covid...). Ich bin im Reinen mit mir selbst, habe keine Erwartungen und keine Angst vor Fehlern. Beides habe ich in den letzten Jahren gelernt abzulegen, zumindest meistens. Als wir in unser Seglerleben gestartet sind, war ich voller Erwartungen - und voller Angst, Fehler zu machen, weil ich weder Segelerfahrung hatte, noch mich mit dem Schiff auskannte. Inzwischen habe ich gelernt, dass Fehler negativ bewertete Erfahrungen sind. Und wie ich eine Erfahrung bewerte, liegt letztlich an mir selbst. Über Erwartungen, die Bewertung von Erfahrungen und den Umgang mit Fehlern philosophiere ich in meinem neusten Blogbeitrag.
Grenada
Grenada gehört zu den Kleinen Antillen, der südlichen Inselgruppe der Karibik. 1498 besuchte Christoph Kolumbus die Insel, die in der Folge der Kolonialisierung phasenweise unter französischer wie unter britischer Herrschaft stand. Seit 1967 ist Grenada unabhängig.
Wir besuchen die Insel von Mai-Juli 2018 und verlieben uns in die Woburn-Bay mit der kleinen, unbewohnten Insel Hog Island.
Gemeinsam mit zahlreichen anderen Jachten liegen wir in der Bucht vor Anker, erleben heftige Gewitter und schließen neue Freundschaften.
Grenada gilt auch während der Hurrikansaison von Juni-Oktober als relativ sturmsicher, weshalb sich hier eine feste Langfahrtseglergemeinschaft gebildet hat von Seglern, die oft mehrere Jahre auf Grenada bleiben oder zwischen Grenada und Trinidad hin- und hersegeln. Zwar sind in den vergangenen Jahren immer wieder Hurrikans weiter südlich gezogen und haben die traditionellen Zugbahnen verlassen, aber Grenada bietet mit seinen zahlreichen kleinen Buchten im Süden der Insel sogenannte Hurricanholes. Das sind Buchten, die von Mangroven umgeben sind und dadurch auch bei Sturm guten Schutz bieten. Die bis ins Wasser hineinragenden Bäume mit den starken Wurzeln erreichen in Küstennähe eine maximale Höhe von fünf Metern und sind dadurch sturmresistent. Selbst, wenn ein Anker ausreißt und das Schiff auf die Küste zutreibt, bedeutet das nicht den Verlust des Schiffes, da es in den Mangroven sicher vertäut werden kann. Viele Segler ziehen sich bei Hurricanwarnung vorsorglich in diese Hurricanholes zurück.
Wer in der Karibik segeln will, kommt nicht darum herum, sich mit dem Thema Hurrikan auseinander zu setzen. Die tropischen Wirbelstürme, die klimabedingt gehäuft zwischen Juli und Oktober jedes Jahr auftreten, sorgen seit Jahrhunderten regelmäßig für große Verwüstung im westlichen Teil des Atlantiks mit Schwerpunkt auf den Karibikinseln und Florida. Die Entscheidung, mit einem Segelschiff diese Gewässer anzufahren, muss sorgfältig getroffen werden. Viele Schiffsversicherungen schließen eine Deckung im Hurrikangürtel aus. Zudem dauert es mit einem Segelboot oft mehrere Tage, bis man sich auf dem Seeweg in Sicherheit gebracht hat - Zeit, die nicht immer vorhanden ist. Aber es ist auch hier wie immer im Leben: wichtige Entscheidungen müssen sorgfältig vorbereitet und mit größtmöglicher Überzeugung getroffen werden, um das Risiko möglichst klein zu halten. Einige Gedanken zum Thema Entscheidungen und der Angst vor Konsequenzen habe ich in meinem Blogartikel festgehalten.
2. Atlantiküberquerung: Bahamas-Bermudas-Azoren
Wie bereits in den beiden ersten Teilen unseres Reiseberichts wechsle ich auch diesmal zwischen zwei verschiedenen Zeitfenstern. Einerseits erzähle ich linear von unseren Erlebnissen in den verschiedenen Ländern, andererseits kehre ich immer wieder zu unserer zweiten Atlantiküberquerung zurück, die uns durch den Nordatlantik von den Bahamas über die Bermudas zu den Azoren geführt hat.
Die West-Ost-Überquerung ist deutlich anspruchsvoller als die Seereise von Europa nach Amerika. Das liegt an den
vorherrschenden Windsystemen. Während zwischen den Kanaren/Kapverden und der Karibik der Passatwind in den Wintermonaten die Schiffe relativ zuverlässig von Ost nach West bläst, tummeln sich auf der Nordroute das ganze Jahr über verschiedene Frontensysteme. Flauten und Stürme wechseln sich ab mit allem dazwischen. Die Chance, die Passage relativ unbeschadet zu meistern, ist im Spätfrühling zwischen Mai und Anfang Juli am größten.
Haben wir uns auf unserer Reise von den Kapverden nach Französisch-Guyana auf den Passatwind verlassen, der uns auch tatsächlich sicher über den Atlantik gebracht hat, so vertrauen wir bei der Nordroute auf die Empfehlungen von Wetterexperten. Einmal täglich senden wir übers Satellitentelefon unsere Position, Kurs und Geschwindigkeit über Grund und erhalten individuelle Wettervorhersagen und Kursempfehlungen. So gelingt es uns meistens, Kaltfronten auszuweichen oder zumindest nicht volle Kraft voraus von ihnen überholt zu werden. Kaltfronten bringen immer erst viel Wind, hin und wieder mit einer Richtungsänderung, Regen und danach Flaute mit unangenehmer Welle.
Ich schätze die Möglichkeit der Wettervorhersage sehr. Andererseits ist es aber eine besondere Herausforderung, angemessen mit Starkwindprognosen umzugehen. "Kaltfront mit Wind bis zu 9 Beaufort (=Sturmstärke)". Diese Nachricht bringt mein Gehirn ordentlich durcheinander. Bevor ich in der Lage bin, rational zu denken und Vorbereitungen zu treffen, wird mir heiß und kalt, mein Puls rast und ich bin sehr dankbar dafür, dass Michael die neue Herausforderung sportlich nimmt und ihr schon fast mit einem Lächeln entgegenblickt. Für ihn kann es kaum wild genug werden... Über den Umgang mit unvorhergesehenen Veränderungen habe ich auch in meinem Blogartikel geschrieben.
Trinidad - Grenada: Unser erster Törn mit Baby
Andri ist vier Monate alt, als wir seinen Geburtsort Trinidad im Mai 2018 verlassen. Obwohl wir nur einen kurzen Törn von zwei Tagen vor uns haben bis Grenada, bin ich nervös. Zum einen, weil wir noch nie mit Baby gesegelt sind. Jonas war drei Jahre alt bei seinem (und unserem) ersten Hochseetörn. Zum anderen, weil wir auf unserem Weg zwei Erdgasbohrinseln passieren müssen. Bei einer der beiden ist vor drei Jahren ein Segelboot von Piraten überfallen worden. Zwar planen wir unsere Route in gebührendem Abstand zu den Plattformen, doch Wind und Welle spielen nicht mit. Eine der Bohrinseln kommt immer näher..
Auf einem Segelboot auf dem Ozean unterwegs zu sein, ist sicherlich nicht jedermanns Sache. Was braucht es, um sich freiwillig in einer Nussschale den Naturgewalten auszusetzen?
Ich habe in meinem Blogbeitrag über Kontrolle versus Vertrauen geschrieben und darüber, dass es im Alltag beides braucht. Wer in See stechen will, ist mit dieser Thematik verstärkt konfrontiert. Für einen genussvollen Törn ist Kontrolle elementar wichtig. Lange vor dem Start müssen unzählige Dinge auf ihre Funktionstüchtigkeit kontrolliert werden, Pumpen, Schläuche, Dichtungen, Motoren, Rollen, Blöcke, Leinen, Segel, Schäkel, Winschen, die Ruderanlage, Elektrik und Elektronik. Ein Großteil der Törnvorbereitung besteht im Kontrollieren. Und auch während der Reise sollte das Schiff lieber nicht außer Kontrolle geraten.
Doch auch hier ist Kontrolle nur eine Voraussetzung. Die zweite, mindestens genauso wichtige, ist Vertrauen. Das Vertrauen ins Boot, ins Wetter, ins Meer und nicht zuletzt in die eigenen Fähigkeiten. Ein Boot mag noch so perfekt ausgerüstet sein, die Wetterprognose noch so ideal und die eigene Seglerausbildung noch so umfassend, ohne Vertrauen lohnt es sich nicht, die Leinen zu lösen. Denn dann werde ich nicht nur beim ersten unerwarteten Hindernis in Panik ausbrechen, mich angsterfüllt in der Dunkelheit der Nacht verkrampft an die Reling klammern und in die schwarze Wassermasse um mich herum starren, sondern ich werde auch niemals in der Lage sein, das überwältigende Gefühl von Freiheit zu spüren, das letztlich die große Triebkraft für jedes Segelabenteuer ist.